Ich bin ganz ehrlich. Ich bin kein Bewahrungstyp. Damit meine ich, dass ich eher selten bis gar nicht davon rede, dass Gott mich in einer bestimmten Situation bewahrt hat. Es fordert mich zu sehr heraus, die Ambivalenz, die für mich mitschwingt, zu denken. Die Vorstellung, dass Gott mich hier und da vor größerem Schaden bewahrt hat, er seine Hände so geschickt über, unter oder neben mich gehalten hat und mir dadurch Schlimmeres erspart geblieben ist, ist mir fremd. Ich merke auch, dass es mir die Nackenhaare aufstellt, wenn eine andere Person mir von einem Bewahrungserlebnis erzählt. Und zwar deswegen, weil mir gleich all die anderen Situationen vor Augen stehen, wo ich mir gewünscht hätte, dass Gott auch dort bewahrend eingeschritten wäre.
Es mag ja für alles einen tiefen Grund geben, warum Gott in der einen Situation „Bewahrung schenkt“ und in der anderen nicht. Mir erschließt sich das oft leider nicht. Vielmehr habe ich damit zu kämpfen, dass sich der Gedanke eines willkürlich handelnden Gottes in mir festsetzt. Und das will ich nicht. Es steht mir auch nicht zu. Ich will Gott an dieser Stelle nicht in Frage stellen. Was dazu führt, dass ich eben den Begriff Bewahrung mehr oder weniger aus meinem Wortschatz ausgeschlossen habe.
Doch dann passiert es eben doch. Am Karsamstag. Wir wollen die Ostertage bei meinem Vater verbringen. Der einachsige Anhänger, den ich mir wiederum von meinem Schwiegervater geborgt hatte, fährt zielstrebig hinter unserem Caddy her. Bei Hannover überhole ich auf der Mittelspur einen LKW. Auf der Höhe der Zugmaschine gucke ich in den Rückspiegel und sehe den weißen Transporter mit viel zu hoher Geschwindigkeit auf den Anhänger zusteuern. Mein Gedanke: „In einer Sekunde wird es rumsen!“ Ein lauter Knall, ein starker Ruck und es ist passiert. Mein erster Unfall auf einer Autobahn.
Es hätte wirklich viel passieren können. Wir hätten ins Schleudern geraten und vielleicht sogar in den LKW rechts neben uns gedrückt werden können. Andere Fahrende wären unweigerlich mit in den Unfall geraten. Aber nichts ist passiert. Hänger und Auto haben etwas abbekommen, aber wir haben keinen Personenschaden gehabt. Nicht wir (wir waren immerhin zu fünft im Auto), noch der Verursacher oder irgendeine andere Person auf unserer Strecke.
Meiner Schwiegermutter, die ein ausgesprochener Bewahrungstyp ist, habe ich im Nachgang am Abend noch einmal berichtet und das Wort Bewahrung in diesem Kontext benutzt. Es ist mir nicht schwergefallen und es fühlte sich in diesem Moment sogar richtig an zu sagen: „Da hat Gott uns bewahrt!“
Jetzt, einige Wochen später, würde ich es aber schon wieder anders formulieren. Ich würde nicht von Bewahrung sprechen, sondern sagen: Der Unfall löst eine ganz neue, tiefe Dankbarkeit zu leben in mir aus. Und dieser Dank gilt Gott. Er ist der Erfinder, Schöpfer, Grund und Atem allen Lebens. Jeder Tag, jeder Augenblick, jeder Atemzug ist ein unschätzbares Geschenk. Es ist Güte und Gnade, leben zu dürfen, „gesund“ zu sein, zu arbeiten, Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen. Einfach ein lebendiger Teil dessen zu sein, was Gott sich für diese Welt erdacht hat. In einem Moment, der das Leben hätte kosten können, bekommt die Dankbarkeit zu leben einen neuen Schub. Das Glück leben zu dürfen, fließt über. Auf einmal wird aus der gewöhnlichen Tristesse des Alltags außergewöhnliche Lebensfreude.
Das Leben ist nicht selbstverständlich. Es ist ein Wunder. Das Leben ist zu wunderbar, um es nicht jeden Augenblick zu bestaunen und mit großer Dankbarkeit zu feiern.