Acht Brillen

Ich begegnete ihm vor einigen Jahren in der Innenstadt: Ein älterer Mann fegt mit einem noch älteren, kratzigen Besen den Boden. Auf seinem Rücken und auf seinem Besen klebt ein großes Schild: „ICH WILL SIE BEKEHREN!“

Vielleicht hat ihm dieses provozierende Wortspiel geholfen um ins Gespräch zu kommen. Über die Bekehrung, den Glauben, den Dreck auf der Straße und im Leben. Vielleicht hat er dadurch Menschen angesprochen und ihnen etwas Gutes getan. Mich irritiert es bis heute und löst eher Beklemmungen und Fremdschämen aus.

Ich gebe zu, ich habe leichte Abneigungen gegenüber Missionseinsätzen in der Innenstadt. Zu oft begegne ich dort Menschen, die mir irgendwas in die Hand drücken oder eine Meinung überstülpen wollen. Nach beidem habe ich nicht gefragt. Dabei ist es mir völlig egal was verteilt wird: die Gute Nachricht von der Liebe Jesu oder die Drohung über das nähernde Gericht Gottes. Auch das weltliche Werben für neue Handyverträge, Meinungsmache von politischen Gruppierungen oder auch das Fordern von Mitleid (= Geldspende) für Tierbabys in einem fernen Land. Ich mag das alles nicht. Ich will nicht angesprochen werden. Und erst recht will ich nicht selbst dort stehen und Menschen ansprechen.

Dieses Bild von einem dreckigen Besen kommt mir immer mal wieder in den Sinn. Wenn ich Menschen von ihrem Bekehrungserlebnis erzählen höre oder wenn andere voller Stolz erzählen, dass sie x andere bekehrt haben – ich denke an den Besen mit kratzigen Borsten. Mit genug Druck und Schrubben wird auch die kleinste Schuld aus der Seele oder dem Gesicht gekratzt. Bis die Zähne blitzen und die Kleidung schön weiß ist, um ins Taufwasser zu steigen.  

Ich weiß, ich übertreibe mit dem Bild und es geht vermutlich auch weniger um das Kehren. Die Umkehr oder Abkehr ist gemeint. Aber macht es das besser? Mit dem Glaubensanfang sollen das bisherige Leben und die Werte komplett auf den Kopf gestellt werden? Nicht nur bezogen auf christlich erzogene Kinder, die jede Gemeindegruppe durchlaufen haben, empfinde ich auch dies als unpassend.

Der Missionsbefehl aus dem Matthäusevangelium geht - zumindest sprachlich - in eine ähnlich Richtung: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“, sagt Jesus. (Matthäus 28,19) Da gibt es das Subjekt „die Bekehrerin bzw. den Bekehrer“ und die „machen“ alle Menschen zu Jüngern. Das Wie und Gottes Wirken oder auch die persönliche Entscheidung des „Bekehrungsobjekts“ wird gegebenenfalls mitgedacht, aber von Jesus hier nicht mitformuliert. Schade eigentlich.

Zum Glück besteht die Bibel aus vielen Versen. Und einer aus dem Kolosserbrief beschreibt einen Missionsansatz ganz ohne gedanklichen Besen:

Verhaltet euch weise gegenüber denen, die draußen sind und kauft die Zeit aus. Eure Rede sei allezeit freundlich und mit Salz gewürzt, dass ihr wisst, wie ihr einem jedem antworten sollt. (Kolosser 4,5f.)

Das gefällt mir! Das verstehe ich komplett anders. Hier geht es um Inhalte, um Beziehung um ein langfristiges Teilen des Glaubens. Dies kostet Zeit und hat dadurch auch seinen Preis. Mit inhaltlicher Würze. Salz hebt den Geschmack hervor. Es bleibt nicht fad. Meinetwegen darf es auch die gesamte Farb- und Gewürzpalette sein: Vielleicht ein bisschen Schärfe durch Chili oder ein gesunder Koriander?
Ich werde ermutigt im Gespräch zu sein, das von Fragen bestimmt ist. Denn schließlich geht es auch darum, was einem jedem geantwortet werden soll. Hier muss erst einmal eine Frage gestellt werden, bevor ich mit meiner Botschaft um die Ecke komme. Außerdem ist mehr gefordert als nur eine plattes „Jesus liebt dich“ auf alle Fragen des Lebens. Jede Situation braucht ein neues Suchen nach einer Antwort. Und dazu befähigt uns der Geist und wir werden gemeinsam auf der Suche nach Antworten sein. Auf Augenhöhe und in unerschöpflicher Freundlichkeit. Auf die Vielfalt kommt es an. Ich „bekehre“ nicht, weil es mir befohlen wird, sondern eine offene Haltung und Interesse am Gegenüber inklusive Nettiquette steckt für mich in diesen Versen. All das braucht Zeit.

Das alles kann auch in der Innenstadt stattfinden, aber nicht durch eine flüchtige Begegnung. Sondern eher in einem Café, auf der Parkbank und vielleicht gibt es auch eine Situation mit Besen in der Hand. Aber es hat nichts mit bekehren zu tun.

 

Nachtrag: Es gibt auch einige Begegnungs- und Missionskonzepte für die Innenstadt ganz nach Kolosser 4,5f. Der Dienstbereich Mission stellt sie vor.