Die Kirche ist wie ein Körper mit verschiedenen Körperteilen. So sagt Paulus es in 1Kor 12. Die Kirche ist der Leib Christi – ist die Verkörperung Christi in dieser Welt. Die Vorstellung ist erstmal etwas skuril: Ein Körper mit einzelnen Körperteilen – das Ganze steht für den Auferstandenen Christus und die Einzelteile stehen für … ja, wofür eigentlich?
Komisch, dass ich diesen Text nie mit Bezug auf die Ökumene verstanden habe. Dieses schöne Bild vom Körper, der nur als ganzer etwas ist und nicht etwa nur Auge oder nur Hand sein kann, dieses Bild wurde meistens auf die Ortsgemeinde und die einzelnen Mitglieder einer Ortsgemeinde bezogen. Lara kann dies und Paul kann jenes und gemeinsam wird was Tolles draus. Ist auch nicht falsch…
Viel spannender finde ich es aber, sich diesen Gedanken in Bezug auf die Ökumene – die ganze große Kirche der Welt – auf der Zunge zergehen zu lassen. Die Kirche mit all ihren Verästelungen und Verteilungen ist die Verkörperung des Leibes Christi.
Wenn wir das Bild aber ernst nehmen, dann entsteht eine Ökumene der ergänzungsbedürftigen Kirchen. Ökumenisch denken bedeutet nichts anderes als sich der eigenen Ergänzungsbedürftigkeit bewusst zu sein. Spannend. Keine Kirche ist der ganze Leib Christi und keine Kirche kann für sich in Anspruch nehmen, ohne die anderen auszukommen. Wirklich nicht? Tun wir aber andauernd, oder?
In einer Ökumene der Ergänzungsbedürftigkeit können die Baptisten nicht ohne die Lutheraner, die Katholiken nicht ohne die Pfingstler, die Reformierten nicht ohne die Orthodoxen und so weiter. Oder persönlicher: Ich selbst komme nicht ohne die Ergänzung der römisch-katholischen, der lutherischen, der orthodoxen, der pfingstkirchlichen, der reformierten und der vielen anderen Geschwister aus.
Die Lutheraner und ihr Taufverständnis: Die allem vorauslaufende Gnade Gottes, die in der Taufe von Kindern am besten Ausdruck findet. Auch wenn man dieses Taufverständnis nicht teilt, haben wir mit unserem baptistischen Taufverständnis die Ergänzung zu hören.
Die Orthodoxen und ihr Gottesdienst: Die Liturgie in der Kirche ist ein Mitfeiern des immerwährenden himmlischen Gottesdienstes. Vielleicht könnte unser bapstistisch-hemdsärmliges Denken über den Gottesdienst davon ergänzt werden.
Die Katholiken und ihre Weltkirche: Vielleicht haben die katholischen Schwestern und Brüder das stärkste Bewusstsein dafür, dass die Kirche eine Kirche ist, auch wenn ich nicht der Meinung bin, dass nur unter dem Dach der römisch-katholischen Kirchen geschehen kann.
Ich bin durchaus überzeugter Baptist. Ich bin froh über die Dinge, die unsere Konfession in der Geschichte betont hat – z.B. die unbedingte Religionsfreiheit. Aber es gibt sehr viele Dinge, die auch von den anderen Kirchen treffend gesehen werden und die in unserer eigenen Tradition etwas unscharf sind oder gar nicht vorkommen.
Die Trennung der Kirche hat über viele Jahrhunderte Krieg und Aversion hervorgebracht. Im 20. Jahrhundert entstand die ökumenische Bewegung. Weitblickende Menschen hatten verstanden, dass diese vielen Kirchen keine Gegensätze sein können und dürfen.
Aber bis heute und vermutlich auch noch viele Jahre schauen sich die Kirchen untereinander an, machen vielleicht an der einen oder der anderen Stelle ein paar schöne Worte, aber das Abendmahl oder die Taufe anerkennt man dann doch nicht. Da wird das eigene Verständnis und die eigene Praxis die zur richtigen und damit auch zur einzig maßgeblichen Praxis erklärt.
Eine Ökumene der Ergänzungsbedürftigkeit ist aber davon abhängig, dass sich einzelne Konfessionen nicht omnipotent fühlen – für alles zuständig und mit aller Weisheit und Erkenntnis ausgestattet. Eine Ökumene der Ergänzungsbedürftigkeit ist davon abhängig, dass die Glaubenden voneinander lernen und profitieren wollen. Und eine Ökumene der Ergänzungsbedürftigkeit ist davon abhängig, dass wir nach allem Lernen zugestehen, immer noch nicht alles selbst zu wissen und zu können.
Manchmal träume ich davon, dass wir nicht mehr sagen: „Dich brauche ich nicht …“. Ich träume davon, dass wir von unserer Ergänzungsbedürftigkeit wissen und dass wir wertschätzen können, worin uns die anderen Glaubenden bereichern und ergänzen.