Acht Brillen

Wir sind im Schwimmbad. Kindergeburtstag. Meine Tochter wird neun. Zehn Kinder schwimmen, tauchen, rutschen und haben Spaß im Wasser. So weit so gut – nix besonderes. Halt ein ganz normaler Kindergeburtstag. Ich kümmere mich darum, dass es allen gut geht, niemand verloren geht und meine Tochter Spaß an ihrem Geburtstag hat. Irgendwann kommt der Moment, in dem alle Kinder gern ins große Schwimmbecken gehen wollen, da wo die Sprungbretter stehen.

Springen vom Einmeterbrett kein Problem für die meisten. Sie springen, johlen und quietschen. Der Dreier hingegen ist da schon eine andere Hausnummer. Nur ein oder zwei haben sich das schon mal vorher getraut. Die ersten klettern mutig die nasse Leiter hoch; von da oben sieht die Welt ein bisschen anders aus. Sie springen. Sind mutig. Haben Spaß. Das ist ansteckend.

Und es dauert nicht lang, bis schließlich alle anderen Kinder sich auch der neuen Herausforderung stellen. Die meisten von ihnen gehen das Ganze zwar mit wackligen Beinen an, aber lassen sich vom Mut der anderen leiten. Doch es gibt auch die drei, denen es nicht so leichtfällt. Die es richtig etwas kostet dort oben auf dem nassen Brett zu stehen, den rauen Boden unter ihren Füßen zu spüren, die Tiefe, in die es gilt einzutauchen, abzuwägen und dem Druck des schaulustigen Publikums standzuhalten.

Und dann passiert er, der Gottesmoment für mich, die Kinder – Geburtstagsgäste und fremde Kinder gleichermaßen – fangen an zu rufen, zu ermutigen, anzufeuern. ‚Du schaffst das!‘ ‚Das kannst Du!‘ ‚Wir glauben an Dich!‘ Und im Chor wird der Name des ängstlichen Kindes, das oben auf dem Dreimeterbrett mit sich, seiner Angst und der Herausforderung mutig zu sein ringt, immer und immer wieder gerufen.

Ich stehe mittendrin, umringt von diesem klitschnassen Kinderchor, der sich nichts Anderes zum Ziel gesetzt hat, als einem anderen Kind zu ermöglichen, dass es schafft, sich erfolgreich der eigenen Herausforderung zu stellen. Und es klappt tatsächlich. Nach und nach springen sie alle. Getragen vom Vorbild derer, die vor ihnen mutig waren und unterstützt von den Stimmen der Ermutigung um sie herum. Als sie sicher aus dem Wasser wiederauftauchen, klatschen alle und freuen sich aus tiefstem Herzen mit ihnen. Lachen und Strahlen rings um mich herum. Mir laufen die Tränen.

Ich fühle mich zutiefst berührt von dem, was ich gerade miterlebt habe: Mut, der was kostet, Freundschaft, die was bewegt, Taten und Worte, die einander helfen über sich selbst hinauszuwachsen. Und ich merke, wie Gott zu mir spricht:
So bin ich. So ist Leben in der Fülle. So ist Gemeinschaft der Heiligen.

Jesus sagt:
Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.                                                                                         (Joh.16.33)

Ich wäre gern mutig.
Bin ich aber nicht.

Angst vor allem Möglichen kenne ich nur allzu gut – vor den größeren und den kleineren Dingen des Lebens. Im Grunde genommen, wenn ich ehrlich mit mir bin, dann bin ich eine Schisserin. Egal, ob Spinnen, Skifahren, Eskimorolle beim Kajakfahren, Bilder von Krieg in den Nachrichten, die Vorstellung vom Tod, vom Dreier springen, öffentliche Verkehrsmittel benutzen, dunkle Straßen, Konflikte mit anderen Menschen, Blogtexte schreiben, predigen oder mich in einer fremden Umgebung zurechtfinden – es gibt immer wieder Situationen, in denen ich mich mit meiner eigenen Angst konfrontiert sehe, in denen ich mich dann entscheiden muss: springe ich jetzt oder bleibe ich stehen.

Gründe nicht zu springen, gäbe es sicherlich immer wieder genug für mich, aber ich habe irgendwann mal für mich beschlossen, dass ich mich von meiner Angst nicht abhalten lasse. Ich möchte mutig sein, auch wenn es mich was kostet.

Das Großartige ist, dass mich der Tag im Schwimmbad wieder einmal daran erinnert hat, dass ich nicht alleine bin mit meiner Angst und meinen Herausforderungen. Wir alle haben sie. Und wenn wir ehrlich sind, sie miteinander teilen, sie sichtbar machen, wie schlotternde Knie auf dem Dreimeterbrett, dann können wir uns mit Menschen umgeben, die uns ermutigen und anfeuern.

Es braucht nicht viele, nur zwei oder drei Menschen, die sich vor uns ähnlichen Herausforderungen gestellt haben, die uns verstehen und begleiten, mit denen wir dann hoffentlich gemeinsam erfahren, wie es sich anfühlt, wenn wir über uns und unsere eigenen Limitationen hinauswachsen. Hineinwachsen in all das, was Gott für uns bereit hat, in ein Leben in der Fülle mit all seinen Höhen und Tiefen, immer in dem Wissen:

In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.  (Jesus)