Tod und Sterben sind so eine Sache.
Der Tod ist so ein Thema, bei dem ich mich ins Unendliche denken kann. So lange, bis es ganz dunkel in mir drinnen wird und ich mich einmal schütteln muss, um das ‚komische‘ Gefühl wieder loszuwerden, das mich bei meiner ganzen Denkerei beschlichen hat. Einerseits …
Andererseits würde ich jedem Menschen, der es hören möchte erzählen, dass ich es liebe Beerdigungen zu machen. Als Pastorin würde ich immer lieber eine Beerdigung machen, als eine Hochzeit. (Ich weiß schon, wie sich das jetzt anhört.) Aber nirgendwo sonst, finde ich, haben Worte, wie diese: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt! (Joh 11,25) so eine Kraft Hoffnung und Trost zu spenden, als wenn man vor einem Sarg auf einem Friedhof steht.
Als ich neulich auf dem OP-Tisch lag und die Narkoseärztin sagte, ich solle mal tief einatmen und an einen schönen Ort denken, da hab ich mir einen Ruck geben und hab zu Gott gesagt: ‚Na, dann sollte ich wohl an Dich denken, falls wir uns gleich begegnen sollten, aber ich will nur, dass du weißt, ich will eigentlich gar nicht sterben.‘
Und da ist sie nun die Misere, in der ich mich befinde.
Ich will nicht sterben. Will aber auch nicht hier so für immer leben. (Das wäre auch schräg.)
Denke ich an den Tod, dann ist das eine bunte Mischung aus wahrer Ehrfurcht vor Gott, der Sorge um meine Kinder und dem tiefen Wunsch, noch so viel wie möglich auf dieser Welt zu erleben.
Als ich vor Kurzem nicht wusste wohin mit meinem Gefühls- und Gedankenchaos, habe ich das Buch Prediger aufgeschlagen und die alten biblischen Worte von ‚Alles hat seine Zeit …‘ noch mal neu auf mich wirken lassen. (Prediger 3,1 ff) Es ist schon eigenartig zu denken, dass alles seine Zeit hat. (Hab jetzt erst gemerkt, dass der Text nirgendwo von einem ‚perfektem‘, ‚richtigen‘ Zeitpunkt oder von einer Zeit, die mir in den Kram passt spricht.)
Geborenwerden und Sterben, Pflanzen und Ausreißen, Töten und Heilen, Niederreißen und Aufbauen, Weinen und Lachen, Klagen und Tanzen, Steinewerfen und Steinesammeln, Umarmen und Loslassen, Suchen und Finden, Aufbewahren und Wegwerfen, Zerreißen und Zusammennähen, Schweigen und Reden, Lieben und Hassen, Krieg und Frieden. (Prediger 3,2-8)
Nach dem Predigerlesen habe ich Gott erst einmal einen Brief geschrieben:
Und Gott, wo bist du in alledem? Leidest du mit uns?
Wartest auch du geduldig darauf, dass eine neue Zeit in unserem Leben anbricht?
Bist du der, der die neue Zeit einläutet? Der, der Anfang und das Ende eines jeden neuen Kapitels ist oder bist du einfach nur mittendrin? Mittendrin in allem, genau wie wir?
Bist du Geber und Nehmer des Lebens? Bist du Bruder, Freund und derjenige, der mit uns weint über Leben, die viel zu früh zu Ende gehen?
Und wenn du alles auf einmal bist, warum änderst du die Story nicht?
Warum schreibst du nicht einfach ein anderes Ende?
Du müsstest es nicht mal alleine tun. Du könntest uns mithinein holen und wir könnten mithelfen; uns selbst und anderen.
Du müsstest gar nicht der Märchenprinz auf dem weißen Pferd sein, du könntest einfach nur der sein, der du bist: Weisheit. Niemals-endende-Liebe. Mut. Schönheit. Gnade. Hoffnung. Leben in der Fülle. Das wäre schon mehr als genug, mehr als wir jemals auch nur begreifen und verstehen könnten. Mehr, als wir wirklich bräuchten, um das Ruder rumzureißen. Um mutig, stark und motiviert zu sein. Um Heilung zu finden und einen neuen Anfang.
Du weißt, wie es bei mir mit dem Tod aussieht.
Ich weiß, dass du es bist, der am Ende auf uns wartet. Darauf wartet uns in deine Arme zu schließen und in deine Ewigkeit aufzunehmen. Licht. Leben. Schönheit ringsumher. Kein Leiden. Keine Tränen mehr.
Und dennoch ist der Tod der große Unbekannte. Das letzte Kapitel zu diesem wundervollen Leben, das du hier auf Erden für uns geschaffen hast. Ich will doch nur noch ein bisschen länger bleiben dürfen. Will entdecken, lernen, staunen, verstehen.
Will ich deswegen nicht älter werden? Weil ich einfach nichts verpassen will?
Vielleicht hab ich ja auch dieses komische ‚Zeit-Verhältnis‘, weil du uns die Ewigkeit ins Herz gelegt hast. (Prediger 3,11) Unseren Anfang, unser Ende und alles, was dazwischenliegt – immer im Licht deiner Ewigkeit in unseren Herzen? Auf der Suche nach unserem wahren Zuhause? Nach deiner Gegenwart von Angesicht zu Angesicht? Nicht angsterfüllt, sondern in dem Wissen, dass wir dort vollkommen hingehören? Was für eine Vorstellung – verrückt und wundervoll zugleich!
Gott, der Schöpfer des Universums – mein Zuhause.
Mein Herz und Verstand sind überfordert, überwältigt und wohl aufgehoben gleichermaßen. Der Anfang und das Ende meiner Story. Der Antrieb. Die Suche. Die Frustration. Die Motivation. Die kleinen Momente mit Dir im Hier und Jetzt. Hilf mir, mit dieser Ewigkeitsahnung zu leben.
Halte mein Herz. Forme es. Aber sei behutsam.
Und vergib mir, wenn ich es bisher einfach alles noch nicht so wirklich verstanden hab und denk immer daran: ‚Alles hat seine Zeit …‘