Es war ein theologisches Streitgespräch mit einer Freundin, das für mich den Stein ins Rollen brachte. Ihr Bestreben ist, in allem Tun und Sein, Gott zu gefallen und ihm nah zu sein. Dabei fiel mir auf, dass ich mir die Frage gar nicht stelle. Also, ob ich ihm gerade nah bin oder, ob ich ihm gerade gefalle. Ich würde mich fast dazu hinreißen lassen zu sagen, es ist mir egal.
Vielleicht sollte ich etwas ausholen. Doch wo soll ich anfangen? Vielleicht bei meinem Wertesystem, das mich und mein Handeln zutiefst prägt. „Liebe Gott und deinen Nächsten, wie dich selbst“, ist für mich nicht nur eine Floskel, sondern mein klarer Grundsatz. Ich möchte mehr und mehr Gott lieben. Ich möchte mehr und mehr die Menschen um mich herum lieben. Ich möchte mehr und mehr mich selbst lieben. Und zwar alles im Gleichgewicht.
Das ist meine Grundhaltung. Gleichzeitig bin ich mir bewusst und sogar sicher, dass ich diesem Grundsatz nicht immer entspreche. Ich trenne meinen Müll – und habe schon Müll in den See geworfen. Ich habe Menschen Hoffnung gegeben – und sie angelogen. Ich war da in schweren Zeiten – und ich habe enttäuscht und verletzt. Ich habe Gott sicher schon das ein oder andere Mal mit meinem Leben geehrt – und ihn sicher schon einige Male mit meinem Leben beschämt oder enttäuscht.
Es also gar nicht erst versuchen? Resignieren? Vielleicht bin ich ein Faultier. Manchmal fällt es mir leicht im Alltag diesem Grundsatz zu entsprechen und im nächsten Moment ertönt ein lautes FAIL. Trotzdem geht es mir gut damit. Vielleicht, weil ich ein Faultier bin. Alles, was zu anstrengend ist, lässt das Faultier lieber gleich sein.
Anders als meine Freundin möchte ich mich nicht permanent davon abhängig machen, ob ich mich gerade Gott nah, heilig, schuldig, sündhaft oder was auch immer fühle. Das würde mich verrückt machen. In meinem Kopf fühlt sich das an wie ein Punktekonto: Alter Frau den Sitzplatz angeboten – Pluspunkt. Gebetet – Pluspunkt. Bei H&M eingekauft – 2 Minuspunkte. Sport gemacht – Pluspunkt. Mit von Kindern hergestellten Schuhen – Minuspunkt.
Oft kann oder will ich meinen Egozentrismus nicht überwinden. Obwohl dieser Grundsatz „Liebe Gott und deinen Nächsten, wie dich selbst“ ganz tief in mir drin ist, ist meine Liebe begrenzt und hört schneller auf als mir lieb ist. Ich kann die Welt nicht retten. Ich kann nicht immer und überall das Unrecht dieser Welt beenden. Diese Rolle schreibe ich Gott zu. Wenn ich in der Bibel immer wieder von dem Gott lese, der das Volk Israel aus Ägypten führte, dann steckt dort sehr viel Macht und Größe für mich drin. Gott ist, der verändern kann, der eingreift, der befreit, der heilt, der sucht und findet, der liebt. Das ist meine Hoffnung und mein Gebet.
Vielleicht bin ich ein schlauer Fuchs, der etwas erkannt hat. Ich fühle mich von Gott angenommen, so wie ich bin. Mit allem, was mich ausmacht. Nichts kann mich von seiner Liebe trennen. Ich bin nicht in dem einen Moment näher an ihm dran und in dem anderen Moment weiter weg. Ich bin immer nah an ihm dran, weil er mich sucht, weil er mich liebt. Der Fuchs hat es begriffen. Gott ist immer gegenwärtig. Er führt kein Punktekonto. Ich muss mich nicht ständig fragen, ob alles in Ordnung ist. Ich vertraue ihm.
Und so ist es nicht nur meine Hoffnung und mein Gebet für die Welt, sondern auch für mich: Gott, verändere mich, wo ich faul bin, greife ein, wo ich kraftlos bin, befreie mich von Egozentrismus, heile mich vom Perfektionismus und finde mich, wenn ich dich nicht suche.