Acht Brillen

In unserer Küche steht ein großer, alter Küchentisch. So einer aus Holz mit Schrammen, Farbklecksen von den Kindern und Abdrücken, da wo mal das Olivenöl stand. Das ist so ein Tisch, der, wenn er reden könnte, ganz viele Geschichten über alle möglichen Menschen in allen möglichen Situationen erzählen könnte.

Ich liebe diesen Tisch; liebe, was er symbolisiert und ermöglicht.
Hier haben gutes Essen und viele Menschen Platz.
Hier kann gelacht, gequatscht, gestritten und geschwiegen werden.
Dieser Tisch lädt einfach ein.

Bei uns zu Hause ist eigentlich immer was los.
Ist ja auch nicht schwer bei drei Kindern.
Alltäglicher Familientrubel mit nachmittäglichen Besuchen, Wochenendverabredungen, Familienfeiern, Freunden und Verwandten, die für längere Zeit bleiben – sie alle haben Platz in unserer Familie und an dem alten Holztisch.

Gastfreundschaft ist so eines von den Dingen in unserem Leben, die uns als Familie ausmacht. Die als gemeinsamer Wert ganz oben steht und das auch nicht erst seit gestern.

Hätte mich bis vor kurzem jemand gefragt: ‚Warum Gastfreundschaft?  Warum magst Du es gerne laut und trubelig?‘, dann hätte ich das wahrscheinlich gar nicht so gut erklären können. Doch der 88 jährige Pastor und Civil Rights Aktivist Dr. John Perkins hat in einem Interview für mich in Worte gefasst, was an Gastfreundschaft tatsächlich so wundervoll ist.

Perkins sprach davon, dass Gastfreundschaft in ihrem Kern einfach ganz viel mit Gerechtigkeit zu tun hat.

Es ist der Moment, in dem man sich Zeit nimmt.
Zeit für jemand anderen.
Es ist der Moment, in dem man sich zusammen setzt und durch diesen simplen Akt nichts anderes sagt als: ‚Ich sehe dich. Ich schätze dich. Du bist wichtig. Ich habe dich gern.‘ 

Wenn wir als Menschen tatsächlich Gottes Ebenbild in dieser Welt sind, dann ist Gerechtigkeit doch nichts anderes als dieses göttliche Ebenbild in unserem Gegenüber zu erkennen und ernst zu nehmen. Und zwar in jedem.

Doch wie geht das? Wo fange ich an?

Die Antwort: Gastfreundschaft.

Perkins sagt: Wir tun so oft so, als würden wir anderen Menschen ihre Würde erst zugestehen müssen. Wir gestehen jedoch niemandem die eigene Würde zu, wir bestätigen sie!

Andere Menschen zu uns nach Hause einzuladen, schafft immer wieder die Möglichkeit mit ihnen zusammen zu sitzen, zuzuhören, sich auszutauschen, Anteil zu nehmen. Es öffnet die Tür sich verletzlich zeigen zu können, sich in andere zu investieren und Gott selbst in seinen Ebenbildern zu begegnen.

Was für ein großartiger Gedanke.

Dabei geht es bei Gastfreundschaft  gar nicht darum alles richtig zu machen – das richtige Essen, die aufgeräumte Küche, der saubere Fußboden. Nein, es geht vielmehr darum vollkommen in dem Moment gegenwärtig zu sein, sich selbst verfügbar zu machen und Gott in den Menschen zu sehen, die wir bereits gut kennen und in denen, die uns noch fremd sind.

Für mich ist Gerechtigkeit immer eine persönliche Angelegenheit und nicht irgendein abstraktes Konstrukt. Es sind nicht Worte auf Papier, es ist das alltägliche Miteinander untereinander – Gerechtigkeit braucht immer ein Gesicht.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf, freue ich mich nun umso mehr auf unser Straßenfest, zu dem wir jedes Jahr als Familie einladen. Da wird der Holztisch nämlich aus der Küche getragen und an den Straßenrand gestellt. Er wird mit mitgebrachten Schüsseln und Tellern vollgestellt und lädt die unterschiedlichsten Menschen ein, Zeit miteinander zu verbringen und sich bei gutem Essen gegenseitig ihre Geschichten zu erzählen und ein bisschen Lebensweg zu teilen.