Acht Brillen

Weil wir nicht wissen können, was Gott ist und nur wissen können, was er nicht ist, können wir auch nicht erfassen wie er ist, sondern nur wie er nicht ist.
Thomas von Aquin

Im Grunde genommen bin ich ein ‚schwarz-weiß‘ Mensch. ‚Grautöne‘ musste ich erst lernen.

Dinge in Schubladen einzuordnen hilft mir.

So war, als ich mit sechzehn zum Glauben kam, mein Bild von Gott definitiv und klar. Gott der Vater, der mich liebt, der seinen Sohn für mich gesandt hat, der zur Vergebung meiner Sünden gestorben ist und ich, ich muss mich einfach nur entscheiden: Jesus, Himmel und ewiges Leben oder Hölle, Fegefeuer, ewige Trennung von Gott.

Das hörte sich alles sehr plausibel an. Gott lädt uns ein oder bestraft uns.
Wo ist das Problem?!
Schließlich hab ich doch die Wahl. ‚Schwarz-weiß‘. Rein raus.

Zusammen mit diesem klaren Gottesbild gingen andere klare Vorstellungen einher, die meiner Vorstellung von der Welt Halt und Sicherheit gaben.

Doch ‚schwarz-weiß‘, so lernte ich recht schnell, hatte auch so seine Tücken; war nicht immer nur einfach und richtungsweisend.

Ich weiß noch genau, wie ich im Büro meines damaligen Jugendpastors saß und ihm voller Überzeugung erzählte, dass ich mein Leben für Jesus einsetzen wollte.
Am liebsten Theologie studieren. In einer Gemeinde arbeiten. Pastorin sein.

Die Antwort war prompt und definitiv.  
Nur Männer sind dazu berufen, Pastoren zu werden – schließlich sind sie der Kopf der Familie, Jesus selbst ein Mann und wenn das noch nicht genug sein sollte, dann ist doch klar, dass es Gott der Vater heißt und nicht Gott die Mutter, ganz zu schweigen von Evas Unfähigkeit und Unzuverlässigkeit im Gehorsam ihrem Schöpfer gegenüber (die sich seitdem auf alle Frauen überträgt) gleich zu Anfang der biblischen Geschichte.

Pastorin sein ist nicht drin.

Aber wo ist denn bitteschön das Problem?!
Kindergottesdienst, Sonntagsschule, Jungschar – geht doch alles.
Nur eben nicht Pastorin, predigen oder gar für eine ganze Gemeinde verantwortlich sein.

„Aber warum willst du das denn überhaupt?“, fragte mich der damalige Jugendpastor. „Du willst doch schließlich irgendwann mal heiraten, oder nicht, Sam?!“ 
(Und da war sie, DIE große Preisfrage: Wie sollte das denn gehen?! Wenn der Mann das Haupt der Familie ist, dann ist doch klar, dass die Frau wohl schlecht das Haupt der Gemeinde sein kann. Haupt der Gemeinde ‚sticht‘ bekanntlich Haupt der Familie … und zwei Häupter auf einmal sorgen auch nur für Chaos …)

Heiraten?! Ja, das wollte ich. Aber ich wollte auch Theologie studieren und Pastorin sein.

Und da hatte ich den Salat – ‚schwarz-weiß‘ und so gar nicht bekömmlich.
Hatte ich Gott etwa nicht richtig verstanden?
Oder hatte Gott gar einen Fehler gemacht, mich als Frau zu schaffen?

Es folgten einige lange Jahre, in denen ich mich mit mir, Gott und meinem Schubladensystem auseinandersetzen musste; in denen sich ‚Grautöne‘ langsam aber sicher mehr und mehr in mein Leben schlichen.

Jahre, die immer mehr Fragen als Antworten mit sich brachten.

Thomas von Aquin schreibt:

Weil wir nicht wissen können, was Gott ist und nur wissen können, was er nicht ist, können wir auch nicht erfassen wie er ist, sondern nur wie er nicht ist.        

Es war mein Lieblingsprofessor, der mich während meines Studiums ermutigte: „Gib nicht auf, Gott ist definitiv größer als alle Fragen und Zweifel, die wir haben – er hält sie alle aus. Irgendwann kommt auch alles wieder zusammen.“

Und zusammengekommen ist es dann irgendwann auch wieder, nur nicht mehr ‚schwarz-weiß‘ und definitiv.

Heute könnte ich wahrscheinlich viel weniger genau in Worten ausdrücken wie Gott ist, aber dafür umso genauer, wie er nicht ist.

Mein Bild von ihm ist so viel größer und meine Liebe zu ihm so viel tiefer geworden und ich blicke voll Dankbarkeit auf die Jahre zurück, in denen Gott mir Männer und Frauen an die Seite gestellt hat, die mich ermutigten meine Berufung als Pastorin zu entdecken und wie ich sie als verheiratete Frau und Mutter leben kann.

Gott, so musste ich lernen, passt nun so gar nicht in irgendeine von meinen Schubladen.
Sind sie viel zu klein und unbequem, um den Schöpfer des Universums darin zu beherbergen.