Ich halte mich für einen einigermaßen geduldigen Menschen. Und doch gibt es Situationen, in denen es mir schwer fällt, geduldig zu sein. In kleinen Dingen, die keine großen Auswirkungen auf mein Leben haben, fällt Geduld mir leicht. In großen Dingen eher nicht. Zum Beispiel, wenn die Gesundheit Probleme macht (-> Knie) oder ich aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen weitgehend ohnmächtig gegenüberstehe (-> Es kommt ein Schiff, geladen ...).
Den ersten Christen ging das nicht anders. Da hatte Jesus ihnen den baldigen Anbruch der Gottesherrschaft angekündigt – und gekommen war die Kirche.* Die Jahre gingen ins Land. Die ersten Auferstehungszeugen starben. Darunter auch solche, die fest daran geglaubt hatten, sie würden die Wiederkunft Christi noch miterleben. Was nun?
In dieser Zeit – um 100 n. Chr. – schreibt der Verfasser des Jakobusbriefes:
„So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.“ (Jakobus 5,7-8)
In Palästina wird Mitte Oktober gepflügt und gesät, kurz nachdem der „Frühregen“ gefallen ist. Der bringt die Saat zum Sprossen und sorgt dafür, dass sie wächst. Im späten Frühjahr des Folgejahres fällt dann der „Spätregen“. Er bringt die Frucht zur Reife, so dass im Frühling das Getreide geerntet werden kann. Im Herbst folgen dann die anderen Früchte.
Jakobus geht es aber nicht um diesen Vorgang das Säens und Erntens. Ihm geht es um die Geduld des Bauern, mit der dieser die Ernte erwartet und die Sorge um ihr Gelingen getrost Gott überlässt. Das Wichtige in diesem Text ist also nicht das Warten auf den Anbruch der Gottesherrschaft an sich, sondern die Art und Weise dieses Wartens.
Das Bild vom geduldig wartenden Bauern macht deutlich: Wachstumsprozesse – auch das Wachsen der Gottesherrschaft – brauchen ihre Zeit. Sie können nicht abgekürzt werden. Wir können sie nicht beschleunigen. Das Bild macht aber auch deutlich, dass am Ende solcher Prozesse – als unaufhaltsam-sichere Konsequenz – immer die Ernte steht.
Darum sind Resignation und Verbitterung über die ungerechten Zustände in der Welt und über das Ausbleiben des Eingreifens Gottes keine Option. Wie der Bauer geduldig auf die Ernte wartet, weil er weiß, dass sie sicher kommen wird, so können wir im Vertrauen auf das Kommen Christi und den Anbruch der Gottesherrschaft geduldig sein.
Aber was bedeutet das konkret? Abwarten und Tee trinken? Die Hände in den Schoß legen und Gott einen guten Mann sein lassen?
Das deutsche Wort „Geduld“ geht auf eine germanische Wurzel zurück, die so viel wie „tragen“ oder „ertragen“ bedeutet. Das Wort, das hier im Griechischen steht, kann man auch mit „Langmut“ übersetzen. Dieses schöne, alte Wort („Langmut“ = „langer, ausdauernder Mut“) kommt dem, was Jakobus mit „Geduld“ meint, sehr nahe: kein passives „den Kopf in den Sand stecken“, sondern ein mutiges, geduldiges, auch Durststrecken aushaltendes Zugehen auf das, was auf uns zukommt!
Schön und gut, denkst du jetzt vielleicht, aber ich bin nun mal nicht mutig. Und geduldig schon gar nicht. Wie also komme ich da hin, wo Jakobus mich haben will?
„Seid auch ihr geduldig“, schreibt Jakobus, „und stärkt eure Herzen“. Für mich ist das der Schlüsselsatz in diesem Text: „Stärkt eure Herzen!“ So mutlos und verzagt unser Herz auch manchmal ist, Jakobus traut uns zu, dass wir es „stark machen“, dass wir uns gegen die Sorgen der Gegenwart und gegen die Angst vor der Zukunft wappnen können.
Aber wie? Wie stärkt man sein Herz?
Leider bleibt Jakobus die Antwort auf diese Frage schuldig. Das kann man bedauern. Man kann es aber auch als Aufforderung verstehen, sich selbst darüber Gedanken zu machen, was das sein könnte, das unser Herz stärkt. Das kann jeder und jede von uns nur für sich selbst herausfinden. Also erzähle ich euch, was mein Herz stark macht. Vielleicht bringt euch das auf die eine oder andere Idee, was eure Herzen stärken könnte.
Da ist zuerst und vor allem die Liebe! Einen Menschen zu haben, bei dem ich zu Hause bin und einfach sein kann. Und für diesen Menschen selbst ein Zuhause zu sein. Das macht mein Herz stark.
Da ist die Familie. Menschen, die unter allen Umständen und solange sie leben mit mir verbunden sind – in guten wie in schlechten Tagen. Das macht mein Herz stark.
Dann sind da Bücher. Türen in andere Welten, die meinen Blick weiten und meinen Verstand fordern. Nachdenken. Umdenken. Neu denken. Das macht mein Herz stark.
Und natürlich ist da dieses eine, besondere Buch: die Bibel. Diese uralten Texte, mit denen Menschen seit Jahrtausenden die Erfahrung machen, dass ihnen darin Gott begegnet. Das macht mein Herz stark.
Ein Starkmacher ist für mich auch die Musik. Melodien, Harmonien, Rhythmen für gute und für schlechte Tage. Texte, die mich berühren und begleiten. Das macht mein Herz stark.
Da ist die Möglichkeit, kreativ zu sein. Etwas zu gestalten. Mit Worten. Mit Bildern. Etwas Schönes. Etwas Sinnvolles. Das macht mein Herz stark.
Da sind Begegnungen mit anderen Menschen, Erfahrungen in der Natur, Erlebnisse auf Reisen, Überraschungen bei der Arbeit oder beim Unterwegssein in der Freizeit. Das macht mein Herz stark.
Da ist das Engagement für andere Menschen, für meine Ideale, für die Dinge, die mir wichtig sind. Das macht mein Herz stark.
Und – last but not least – ist da der Glaube, dass am Ende alles gut wird, weil am Ende immer Gott ist. Auch wenn ich nicht weiß, wie nah das wirklich ist, was Jakobus das „Kommen des Herrn“ nennt. Ich vertraue darauf, dass er kommt und dass es gut sein wird, wenn er kommt. Das macht mein Herz stark. Auch für die Situationen, in denen es mir schwer fällt geduldig zu sein ...
* „Jésus annonçait le royaume, et c’est l’Église qui est venue.“ („Jesus kündete das Reich Gottes an und gekommen ist die Kirche.“) – Alfred Loisy, L’évangile et l’église, Paris 1902; 4. Aufl. Bellevue, 1908; unveränderter Nachdruck: Frankfurt am Main, 1973.