„Udo, ich zweifle daran, ob die Sache mit Gott so richtig sein kann!“ Ich kann mich noch sehr gut an dieses Gespräch erinnern, das mit diesem Satz angefangen hat. Wir haben zusammen in der Gemeindeküche gestanden und mal wieder irgendwas abgespült. In solchen Momenten entstehen unvergessliche, geradezu existentiell wichtige Gespräche über Gott und die Welt.
Manchmal passen dann aber Gott und unsere persönliche Welt, wie wir sie erleben, gar nicht zusammen. Da können wir noch so viel beten, glauben, reden und diskutieren, es will einfach nicht werden, wie wir es uns wünschen und erbitten. „Egal wofür ich in meinem Leben bisher gebetet habe, Udo, Gott hat noch nie darauf eine Antwort gegeben, noch nie!“
Ich schlucke. Kann das sein? Noch nie? Mir fehlen die Worte und dann denke ich: „Warum sollte uns Gott unsere Wünsche erfüllen? Unsere Gottesbeziehung ist keine Jukebox, bei der wir unseren Wunschtitel wählen und auf Knopfdruck abrufen können.“ Aber ich kann auch verstehen, dass man ins Zweifeln kommt, wenn man den Eindruck hat, niemand antwortet.
Ich drehe die nasse Schüssel durch das Handtuch in meiner Hand und denke, dass man so die „Sache mit Gott“ nicht verstehen kann und darf.
Dieses Gespräch in der Küche war das Erste von etlichen, die ich in der Zeit als Gemeindepastor geführt habe. Jugendliche und junge Erwachsene haben an dem Thema Zweifel an Gott, an Jesus, an der Bibel, an Glaubensinhalten zu knabbern. Nicht nur ein bisschen, sondern heftig. Sie haben Zweifel, die emotionales Chaos, eine fast unerträgliche Irritation und manchmal einen richtig seelischen Schmerz auslösen.
Warum muss es soweit kommen, dass Erfahrungen oder Nichterfahrungen dazu führen, dass einem der Glaube wie Sand zwischen den Finger rinnt, bis zum letzten Sandkorn? Und dann ist er weg?
Es gibt verschiedene Gründe, warum gerade junge Menschen ihren Glauben „verlieren“ und sich zum Teil sehr bewusst entkehren. Einer der Gründe ist Zweifel.
Müssen wir eigentlich zweifellos glauben? Ich weiß, zweifellos ist eigentlich das falsche Wort, weil es so viel wie sicher, selbstverständlich, gewiss bedeutet. Aber genau diese Frage möchte ich stellen. Müssen wir sicher, fest, selbstverständlich, also zweifellos glauben? Ist der Glaube wirklich „ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht“? (Hebräerbrief 11,1) Vertragen sich Glaube und Zweifel nicht, zumindest nicht über eine lange Zeit und führt das Übergewicht des Zweifels dann unweigerlich dazu, dass ich meinen Glauben verliere?
Nein, um Gottes Willen nein. Das ist meine entschiedene Antwort. Warum? Na, weil ich felsenfest davon überzeugt bin, dass Zweifel nicht das Gegenteil von Glauben ist und den Glauben auch nicht schwach werden lässt. Leider wird das aus meiner Erfahrung oftmals suggeriert. Und zwar wird dann im Sinne von Hebräer 11,1 umformuliert: „Zweifel ist Nichtglauben an das, was man nicht sieht.“ Zweifel führen vielleicht nicht sofort, aber dann doch zum Unglauben. Aber das Wort Zweifel ist an dieser Stelle nur eine Interpretation. Wörtlich steht hier: „ein Überführtsein von Dingen, die man nicht sieht.“ Überhaupt kommt das Wort Zweifel (auch wenn es hier und da in Übersetzungen auftaucht) fast überhaupt nicht vor. Vielmehr müsste man jeweils genau hinschauen und fragen, welche Konnotation die Worte im Griechischen und Hebräischen wirklich haben. Ich übersetze häufig `mit Gott in Spannung geraten´ oder `Gedanken aufkommen lassen, die im Widerspruch zu seinem Handeln oder Verhalten stehen´. Das passt natürlich nicht immer, kommt dem Gemeinten aber aus meiner Sicht näher.
Zweifel gehören in ein Beziehungsgeschehen. Sie sind nicht das Gegenteil von Glauben. Zweifel sind eher so etwas wie Bruder oder Schwester vom Vertrauen. Mit Geschwistern wird kräftig gerangelt, aber letztlich bleibt man Teil einer Familie (selbst, wann man dem oder der anderen Antworten schuldig bleibt).
Aber wie kann man raus aus dem Hamsterrad, nicht mehr verzweifelt zu glauben oder glaubend zu verzweifeln? Glaube ist für mich nicht nur Vertrauen, sondern dieses Vertrauen ist gepaart mit Hoffnung, Perspektive, Sicherheit, Diskussion, Fragen, Identität und aus meiner Sicht auch Zweifeln. Es würde aus meiner Sicht helfen, wenn wir jungen Menschen beibringen, dass sie nicht ohne Zweifel glauben müssen, sondern Glaubenszweifel in unserer Biographie einen Platz haben.
Wir sind doch in guter Gemeinschaft. Denn Petrus, Thomas, Judas, die Emmausjünger, Paulus und wahrscheinlich so ziemlich alle anderen Personen in der Bibel kennen Glaubenszweifel, Zweifel, Ringen mit Gott und mit dem Menschensohn Jesus.
Für mich ist die Szene am Ende des Matthäusevangeliums inspirierend und ermutigend. Oben auf dem Berg begegnen sich die Jünger und der Auferstandene Christus und dann heißt es „Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten.“ (Matthäus 28,17)
Jesus hält es zweifellos mit uns aus. Keine Frage, keine Kritik, kein Vorwurf von uns ist ihm zu anstrengend, sodass er jemals mit uns brechen würde.
Jesus hat bewiesen, dass er Zweifler mag. Wahrscheinlich, weil er genau weiß, dass wir alle irgendwann einmal an ihm, an anderen und auch an uns selbst zweifeln.
Bibeltexte nach Luther 2017 © Deutsche Bibelgesellschaft