"Terach brach aus Ur in Chaldäa auf, um ins Land Kanaan zu ziehen. Er nahm seinen Sohn Abram, seinen Enkel Lot und seine Schwiegertochter Sarai mit. Sie kamen bis nach Haran und siedelten sich dort an. Terach wurde 205 Jahre; er starb in Haran. (Genesis 11, 31+32, Gute Nachricht Bibel)
Viel mehr ist gar nicht über Terach bekannt. Aber mich fasziniert es schon: Da hat ein Mann ein Ziel. Er will nach Kanaan. Über seine Motive können wir nur spekulieren. Auch wissen wir nicht, warum er es "nur" bis nach Haran schafft. Es scheint ein netter Ort, ein gutes Zwischenziel zu sein. Er lässt sich nieder und siedelt sich an. Schließlich stirbt er. Hat er sein Ziel - Kanaan - aus dem Blick verloren? Warum zog er nicht weiter? Doch auffallend ist: Schon der Vater des großen und wichtigen Vater Abraham, wollte in das gelobte Land. Das Land, das Gott dem Abram wenig später verspricht und mit dem der Zuspruch Gottes nach unzähligen Nachkommen verbunden ist.
Und Abram: Letztlich führt er den Wunsch, den Weg, das Leben des Terach weiter fort. Dass, was der Vater nicht erreicht hat, wird zum großen Ziel des Sohnes. Terachs Idee wird durch Gottes Zusage zum großen Plan Abrams.
Ich sitze im Auto auf einer Dienstfahrt und komme ins Nachdenken.
In einer Predigt vor ein paar Wochen begegnete mir dieser Terach in einem Nebengedanken. Bisher hatte ich mich noch nicht viel mit ihm beschäftigt, wusste überhaupt nicht, wer er war. Heute regt mich Vater-Sohn Geschichte an: Welchen Weg gehe ich? Ist es meiner oder gehe ich bereitete Wege weiter? Wie viel übernehme ich von meinen Eltern?
Ich lasse die Gedanken kreisen.
Ich stamme aus einer Familie voller Pastor*innen. Vater und Mutter, Opa, Uropa, Großtante... alles Theologen im Baptismus. Was soll da nur aus dem Sohn werden??
Für mich war nach dem Abitur vieles unklar, nur eines wusste ich: bloß nicht Theologie studieren. Es gibt genug Pastoren in meiner Familie. Und noch viel weniger wollte ich nach Elstal, dem Arbeitssitz meiner Eltern.
Und dennoch: Der Apfel fiel nicht so weit weg vom Stamm(baum). Meinen Zivildienst leistete ich in einer Baptistengemeinde und hatte auch im Studium zum Grundschullehrer immer genug Zeit fürs ehrenamtliche Engagement in Gemeinden und Gemeindejugendwerk. Schließlich, über ein paar Umwege bin ich auch hauptamtlich in Elstal gelandet. Als ordinierter Diakon. Nicht als Pastor, aber doch in einem ähnlichen Beruf wie meine Eltern. Und vor allem der gleiche Arbeitgeber.
Ich mache eine kleine Pause auf der Fahrt. Zufällig habe ich einen Apfel dabei.
Auch das Dienstauto mit dem ich unterwegs bin, kommt mir sehr bekannt vor: Vor ca. einem Monat ist mein Vater in den Ruhestand gegangen. Sein Dienstwagen wurde zum Poolwagen für alle Mitarbeitenden und so sitze ich auch ganz praktisch auf "seinem" Platz und fahre "sein Auto".
Die Gedanken kreisen weiter.
Was heißt das alles nun? Führe ich den Weg meiner Eltern im BEFG weiter? Wie weit beschreite ich eigene Wege? Was ist meins? Was ist ihres?
Es betrifft ja nicht nur mich: Mit meinen beiden Schwestern stellte ich fest, dass alle drei Äpfel nicht so weit gefallen sind. Jedoch haben wir alle einen Schwerpunkt in der theologischen Arbeit gewählt, der zu unseren Begabungen passt: Die große, schlaue arbeitet als promovierte Theologin an der Uni. Die jüngere, menschennahe ist Gemeindepastorin und schult sich in der Transaktionsanalyse. Und ich, gelernter Pädagoge, begleite junge Menschen im Freiwilligendienst; oftmals das erste (räumliche) Lösen vom Elternhaus und in der zweiten Pubertät.
Die Gedanken kreisen.
Wie weit trennen sich unsere Wege und wo gehe ich selbständig? Wie weit nutze ich Fachwissen, Menschenkenntnis, theologische Prägung meiner Familie? Und was werden meine Kinder später einmal von mir übernehmen?
"Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, es sei denn, ersteht am Hang." (Karl Valentin)
Die Ortswahl des Apfels hängt sehr an der Umgebung des Baumes. Im wahren Leben kann ich sehr viel mehr selbstbestimmen wie und wo der in mich gelegte Samen aufgeht. Meine Freiheit ist groß. Ich kann mich bewusst für oder gegen etwas entscheiden. Ich kann auch meine Prägung reflektieren. Sie wertschätzen und mich von ihr emanzipieren. Ich fühle mich frei.
Je mehr ich drüber nachdenke, merke ich, wie schön beides ist! Die Prägung und die Freiheit! Meine Eltern haben mich nie erkennbar bedrängt, dass ich eine bestimme Richtung einschlagen soll. Vielmehr waren sie mir Vorbild in Vielem. Dabei konnte ich jederzeit meine Entscheidungen selbständig treffen und eigene Schwerpunkte setzen. Meine Berufung leben. Manches auch bewusst anders machen als der Rest der Familie. Und doch im guten Austausch miteinander.
Ich bin froh, über das was ich aus der Prägung mitnehmen konnte und auch über das was ich neu gelernt habe.
Der Apfel fällt nicht weit! Und doch macht er sich auf den Weg zu einem eigenen Baum - oder zumindest einem vitaminreichen Snack.
Bis ich ankomme und meine Reise endet, dauert es noch länger.
Auf der Dienstreise sind es noch einige Kilometer. Im Leben (hoffentlich) noch viele Jahre.
Danke, Familie "Schneider", für Prägung und Freiheit und dass ich nicht alleine unterwegs bin.
Danke, Terach, für diese Gedankenanstöße.